Sichtbar gläubig: Wer ist das heute noch und wie fühlt es sich an?
Turban, Kette mit religiösem Symbol, Kippa – sichtbar gläubig. Wer ist das heute noch und wie fühlt es sich an, unmittelbar als Mitglied einer Religionsgemeinschaft identifiziert zu werden?
Bei einem Podiumsgespräch am 17. November 2022 tauschten sich Vertreter*innen aus Judentum, Sikh- und Bahá’í-Religion mit Dr. Theresa Beilschmidt der Stiftung Weltethos über diese und weitere Fragen aus. Ganz bewusst kamen hier auch Religionen zur Sprache, die sonst weniger repräsentiert und sichtbar sind.
Perspektivenvielfalt
Bei dem Gespräch wurden verschiedene Perspektiven rund um Religionen und Religiosität beleuchtet.
Levi Israel Ufferfilge ist Judaist, Religionspädagoge und Rabbiner-Anwärter. Er verwies darauf, dass die religiöse Sichtbarkeit in Deutschland für die Gläubigen keine schöne Angelegenheit ist. Deswegen verfolge er in seinem vielfältigen und mutigen Engagement stets das Ziel, jüngeren Generationen zu helfen, dass das Kippa-Tragen nicht mehr gefährlich ist.
Den Sinn der Religion ist es, Liebe und Einheit untereinander zu stiften, so Clara Schwanzer, Studentin, Gesundheits- und Krankenpflegerin und Mitglied der Bahá’í-Gemeinde. Die Einheit in Vielfalt sei schwer, aber notwendig und auch möglich.
Khushwant Singh, ehrenamtlich engagiert im Rat der Sikhi, leitet hauptberuflich das Sekretariat der Internationalen Partnerschaft zu Religion und nachhaltiger Entwicklung (PaRD). Er betonte, dass eine sensible religiöse Sprache das Zusammengehörigkeitsgefühl fördert. Denn Sprache forme Denken und damit die Realität. Sie trage zur Solidarität und Normalität von religiöser Vielfalt bei.
Digitale Medien
Bei allen Podiumsgästen war die digitale Kommunikation ein wichtiges Thema. Insbesondere mit Blick auf junge Menschen sei diese Art der weltweiten Vernetzung unerlässlich und habe viel Positives inne. Clara Schwanzer verwies auf Covid-Zeiten, in denen die online Kommunikation eine große Bereicherung gewesen sei. Levi Israel Ufferfilge ergänzte, dass neben der sozialen Kommunikation aber auch die traditionelle Lehre wichtig bleibe. Ein kritisches Bild gegenüber den Sozialen Medien äußerte Khushwant Singh. Er benutzte das Bild eines Skalpells, das zum einem in der Medizin zur Heilung gebraucht wird, aber gleichzeitig auch missbraucht werden könnte, um jemanden zu schaden. Diese Doppelschneidigkeit sei allgegenwärtig. In der digitalen Kommunikation werde vor allem mit Bildern gearbeitet, was die Religion bspw. auf das Tragen des Turbans in Verbindung mit der Religion reduziere.
Werte
Die Stärkung der gemeinsamen Werte des Miteinanders ist das Anliegen der Stiftung Weltethos. Deswegen wurden auch beim interreligiösen Gespräch Werte als verbindendes Element diskutiert. Während Clara Schwanzer die gemeinsamen Werte aller Religionen betonte, konzentrierte sich Khushwant Singh auf die Verbindung von Werten mit der Natur. Levi Israel Ufferfilge fragte, ob einzelne Werte wie Gewaltfreiheit tatsächlich auf alle Religionen anwendbar sei. Er verwies auf das Prinzip „Lernen und Lehren“, um die höchste Form den göttlichen Willen zu erfüllen. Darüber hinaus müssen die gelernten Weisheiten auch umgesetzt werden.
Einig waren sich auch alle Podiumsgäste, dass die religiöse Überzeugung anhand von Taten – und nicht aufgrund von Äußerlichkeiten erkannt werden sollte.
Positiv rückmeldet wurde von den Podiumsgästen im Anschluss die angenehme, respektvolle und interessierte Kommunikation auf dem Podium, die statt eines Streits ein Gespräch über Gemeinsamkeiten zuließ.
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Ausstellungspräsentation „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“ im Amtsgericht Stuttgart sowie der jüdischen Kulturwochen statt. Die Weltethos-Ausstellung ist noch bis 15. Dezember 2022 zu den Öffnungszeiten des Amtsgerichts Stuttgart zu besichtigen.